Das Männerauto und die hübsche Begleitung

Getting the Car!

Bumm!! Mit einem Schlag, der das Gefühl vermittelt, als wäre eben das Getriebe rausgefallen, schaltet sich der Overdrive ein. Das Fahrzeug macht einen Satz nach vorne und die Schweissperlen auf meiner Stirn vermehrten sich schlagartig. Langsam drehe ich meinen Kopf nach rechts und werfe einen vorsichtigen Blick auf meinen Beifahrer. Wie erwartet, treffen sich unsere Blicke. Mir starrt die blanke Panik entgegen. „Ich trete immer leicht die Kupplung, bevor ich den Overdrive einschalte“. Das klingt schon leicht gestresst. „Nee, ist klar. Mache ich eigentlich auch immer so…“, erwidere ich sehr überzeugend. Irgendwie vermittelt mir mein Beifahrer das Gefühl, als sässe ich zum ersten mal in einem TR6.

Um ihm zu zeigen, dass ich den Wagen doch im Griff habe, gebe ich beherzt Gas und wuchte den jetzt bei 2.500 Umdrehungen tief brummenden PI die Serpentinen irgendwo im Umland von München hoch.

Was wie eine Probefahrt mit dem Auto startete, entwickelt sich mehr und mehr zu einer Fahrprüfung. Ich versuche also mich zu konzentrieren und mache mir klar, dass ich das Auto bereits bezahlt habe und der Ausgang der Fahrprüfung daher völlig unerheblich sei.
Das wirkt. Eine halbe Stunde später knie ich vor dem Auto und montiere die mitgebrachten Schilder an. Eigentlich wollte ich um diese Zeit bereits die halbe Strecke zwischen München und Frankfurt hinter mir haben. Andererseits hätte ich es mir denken können.

Was ich da von meinem Beifahrer übernehme, ist ein TR6 PI, Baujahr 1972, Erstzulassung am 30.01.73 im Originalzustand mit 26.530 km, vollkommen rostfrei, Original Benzinpumpe, nicht tiefer gelegt, kein Umbau der hinteren Stossdämpfer und am Heck immer noch mit dem Aufkleber des deutschen Importeurs versehen. In Pimiento Rot (also Orange). Mit original Hardtop. Ein Fahrzeug, das es in diesem Zustand eigentlich gar nicht mehr geben kann. Eigentlich.

Nachdem sich die ganze Familie meines Verkäufers von dem – meinem – TR mit Wehmut verabschiedet hat, bin ich endlich auf der Autobahn Richtung Frankfurt unterwegs und erlebe, wie sich ein quasi neuer TR6 anfühlt. Unglaublich. Nichts rappelt, der Motor brummt tief und zufrieden und dreht munter von unten durch. Heimlich übe ich ein bisschen das „Kupplungtreten-beim-Overdrive-Reinmachen“. Und endlich habe ich die Ruhe, Details wahrzunehmen.

Like New!

Verwundert stelle ich fest, dass der Wagen genauso riecht, wie mein vorheriger Tr6. Nein, doch nicht. Der Benzingeruch fehlt. Aber sonst genauso. Das Lenkrad ist etwas dünner. Und die Kunststoffabdeckkappen der Schrauben der Blende über dem Loch fürs Radio sind noch da. Genau. Kein Radio. Braucht man aber auch nicht. Ohne Zusatz-200W-Verstärker würde man sowieso nicht verstehen. Ausser bei Standgass an der Ampel. Aber die Ampelphasen in Hessen sind nicht besonders lang. Lohn sich also nicht. In Köln wäre das natürlich etwas anderes. Aber da wohne ich nun mal nicht. Also kann ich mir die Suche nach einem Original Becker Radio von 1972 sparen. Mal sehen, wie der Wagen so in der Spur liegt. Bei 150km/h nehme ich die Hände vom Lenkrad. Toll. Der Wagen merkt das gar nicht und fährt weiter gerade aus.

Damals war die Welt noch in Ordnung, oder?

Mit dem Wagen habe ich eine Komplettdokumentation erhalten, einschliesslich Verkaufsprospekt von 1972. Bei einem Blick in den Prospekt macht sich Melancholie breit: Die 60er Jahre waren gerade vorbei und selbst in Autoprospekten unternahm man erste zaghafte Versuche, den Gleichberechtigungsgedanke irgendwie unterzubringen:
Wenn auch der TR& P.I. ein Auto für Enthusiasten ist (also für mich), so geniesst seine (meine) hübsche Begleitung ebenso viel Komfort wie in einer Limousine (???).

Sie (also die hübsche Begleitung) verfügt über denselben Sitzkomfort wie er (also ich), weil BEIDE Sitze mit gleich tiefer Auflage weich gepolstert sind und das GLEICHE Stützprofil haben. Sie (also wieder ich) können sich darauf verlassen, dass zum Thema Bequemlichkeit von ihr kein Wort verloren wird – Rückenschmerzen gibt es nicht mehr!“

Nee, klar. Super bequem und keine Beschwerden von der hübschen Begleitung. Da bin ich aber beruhigt. Sonst hätte ich den Wagen auch nicht genehmigt bekommen. Interessant ist, dass das auch in den 70er Jahren wohl schon irgendwie ein Thema war: „Du Schatz, ich habe da diesen netten englischen Sportwagen gesehen. Der hat sogar einen Beifahrersitz, der genauso bequem ist, wie der Fahrersitz, toll oder?“

Nur für den Fall, dass die hübsche Begleitung an der Stelle noch nicht überzeugt ist, hält die Marketingabteilung von British Leyland eine weitere Argumentationskette bereit:
„Die Innenausstattung lässt nichts zu wünschen übrig. Der ganze Boden ist mit vorgeformten, tiefen Teppichen ausgelegt, der verschliessbare Handschuhkasten wird beim Öffnen automatisch beleuchtet; den Frisierspiegel finden Sie (also meine hübsche Begleitung) an der Sonnenblende“.

Bei dem Gedanken klappe ich meine Sonnenblende runter. Nichts. Also war damals bereits in Ansätzen zu erkennen, wo das mit der Emanzipation hinführen würde. Hat sich heute ja Gott sei Dank wieder angeglichen, und kein Motorist muss ohne Überprüfung der Länge seiner Nasenhaare aus dem Auto steigen.

Und dann geht’s im Prospekt weiter: „Die verstellbaren Belüftungsdüsen an beiden Enden des Armaturenbrettes sind zusätzlich zu den üblichen Öffnungen der Heizungs- und Belüftungsanlage im Fussraum angeordnet…(???). Ich sehe mir das etwas genauer an. Wie haben die es geschafft, die Belüftungsdüsen an beiden Enden des Armaturenbrettes zusätzlich im Fussraum anzuordnen???

Und dann kommt der finale, allumfassende Überzeugungssatz, der mit Sicherheit auch den Vorvorbesitzer meines TRs und seine hübsche Begleitung dazu gebracht hat, dieses Luxusmobil zu erwerben: „Sie (also die hübsche Begleitung) kann in diesem Luxus schwelgen, wenn sie nicht gerade Ihre (also meine) Geschicklichkeit am Steuer bewundert“.

Tja, so war das gedacht, damals in den 70ern. Hat sich ja auch fast bis heute gehalten, mit wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel im Fall meiner hübschen Begleitung: „Achtung! Siehst du nicht, dass der bremst da vorne???“ Oder einfach nur „Achtung!!“ kombiniert mit weit aufgerissenen Augen und einem starren Blick geradeaus. Von wegen Bewunderung meiner Geschicklichkeit am Steuer und so.

Ich frage mich, ob die das damals wirklich so gemeint haben. Irgendwie ein moderner Ansatz. Breite Zielgruppenansprache. Der TR6 war eben schon immer ein Auto für Männer UND Frauen, oder besser für den Enthusiasten und seine Begleiterin, oder noch etwas genauer: ein Auto für alle Männer mit HÜSCHEN Begleiterinnen. Ich will ja nicht spitzfindig sein, aber schon interessant, dass die noch nicht einem den Begriff Beifahrerin verwenden. Wahrscheinlich, weil das tatsächlich eine Art aktive Rolle der Begleiterin im TR6 impliziert, die über das Herunterklappen des Frisierspiegels hinausgehen könnte. Unvorstellbar. Also damals.

Übrigens: Meine hübsche Begleitung darf mit dem TR6 fahren. Also manchmal.